„Sie haben keine Strategie“

02.02.15

Kolumne von „Mr. Media“ Thomas Koch aus der WuV.
Koch Beitrag
Alle reden über die neue Kreativagentur der Marke Mercedes, aber kaum jemand über ihre zukünftige Mediastrategie. „Mr. Media“ bei W&V ist Thomas Koch und er ist da wieder mal die Ausnahme. Weil er bezweifelt, dass es eine gibt. ...
Laut „Mr. Media“ hat fast kein Unternehmen eine Strategie, die diesen Namen verdient....

Nein, Sie haben keine Strategie!

Das, werden Sie denken, ist eine infame Unterstellung. Woher soll ich wissen, ob Ihre Mediaspendings einer Strategie unterliegen oder nicht? Nun ich weiß es eben. Ich weiß es aus Gesprächen mit Unternehmen, die darüber rätseln, was und warum ihre Mediaagenturen zu ihrem Mediaeinsatz raten. Vor allem weiß ich es aus zahlreichen, sogenannten „Mediaempfehlungen“, die mir Kunden in jüngster Zeit zur Überprüfung vorlegten. Weil sie sich nicht sicher waren, ob sie richtig beraten wurden.

Es fängt schon damit an, dass in den Mediaempfehlungen der Agenturen die Seite fehlt, auf der die Mediastrategie dokumentiert ist. „Wir empfehlen folgende Mediastrategie, weil…“ könnte da sinngemäß geschrieben stehen. Steht es aber nicht. Weil sie keine Strategie haben. Es setzt sich damit fort, dass an der Stelle, wo es um den Einsatz der Medien geht, fast immer eine Begründung fehlt. Dass Fernsehen eine hohe Reichweite erzeugt, ist nun einmal keine. Denn das können andere Medien bekanntlich auch. Ebenso wenig als Begründung taugt die Feststellung, dass die Wettbewerber 80 TV-GRPs pro Woche erzeugen. Sollen sie doch. Ist 80 GRPs pro Woche zu erzeugen eine Strategie? Nicht wirklich.

Strategie kommt von „strategos“. Es beschreibt ein „längerfristig ausgerichtetes, planvolles Anstreben eines Ziels unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel und Ressourcen“. Die Mediastrategie muss erkennbar aus der Marketingstrategie abgeleitet sein. Sie muss einzigartig sein, auf individuellen Erkenntnissen (z.B. über die eigene Zielgruppe) beruhen. Vor allem muss sie zur Erreichung der Ziele beitragen. Sie muss in allen (ja, in allen) Einzelheiten begründet sein. Und sie sollte sich tunlichst von den Strategien der Wettbewerber unterscheiden. Sonst ist sie keine eigene Strategie, sondern die der Wettbewerber.

Gehören Sie zu den 80 oder den 20 Prozent?

Wenn Sie oben nicht wenigstens viermal zustimmen konnten, dann haben Sie - leider - keine Strategie. Das trifft nach der Pareto-Regel auf 80 Prozent aller Mediapläne zu: Denn 80 Prozent der Wirkung (= Werbeerfolg) entsteht durch nur 20 Prozent der Ursache (= Kampagne). Demnach sind im Umkehrschluss 80 Prozent der Kampagnen so gut wie wirkungslos. Aber wollen Sie wirklich, dass Ihre Kampagne um jeden Preis zu dieser Gruppe der Wirkungslosen gehört?

Wenn sich Ihre Ziele ändern und damit Ihre Marketingstrategie, wenn sich Ihr Wettbewerbsumfeld, Ihre Zielgruppe oder deren Konsum- und Mediagewohnheiten ändern, dann muss sich auch Ihre Mediastrategie anpassen. Wenn Sie seit Jahren den gleichen Media-Mix einsetzen oder noch schlimmer, den gleichen wie Ihre Wettbewerber, dann haben Sie gewiss keine Strategie. Leider kann nur aus einer echten Strategie ein Wettbewerbsvorteil oder gar Mehrwert entstehen.

Langeweile statt Strategien

Fast ausschließlich TV einzusetzen, nur weil es Ihre Wettbewerber tun (wie im Falle von Süßwaren, Milchprodukten, Convenience Food, Mundpflege, Spirituosen - oder gar E-Commerce - wie lustig…), ist nicht nur langweilig, sondern eben auch keine Strategie. Ebenso wenig immer stärker auf Online zu setzen, nur weil Ihre DOB-, Finanz- und PKW-Kontrahenten es auch tun.

Eine Strategie zu entwickeln, ist nicht leicht. Zutiefst bewundere ich Marketingchefs, die imstande sind, eine Marketingstrategie zu entwerfen und dabei die Hebel entdecken, die zum Markenerfolg führen. Media ist dagegen vergleichsweise einfacher, braucht aber dennoch Erfahrung, Hirnschmalz und eine gehörige Portion Kreativität. Also das, was den jungen, schlecht bezahlten Mediatalenten oftmals (noch) fehlt, die heute viel zu früh auf die Kunden losgelassen werden.

Frank Zimmer, seines Zeichens W&V-Onlinechef, hat im Zusammenhang mit dem Drama um die Mercedes-Etatvergabe bei Twitter postete, jetzt fehle nur noch, dass Mercedes seinen weltweiten Mediaetat an mich vergebe.

Alles nur Spaß? Nicht unbedingt. Betrachtet man das Durchschnittsalter der hiesigen Neuwagenkäufer und das der, sagen wir einmal „senioren“ Mercedes-Käufer (56 Jahre+) im Speziellen, kommt man nicht gleich auf Online-Lösungen. TV, als Medium zur Ansprache von Rentnern durchaus geeignet, schwächelt doch sehr, wenn es um die Kaufkraft der Bildungsfernen und Senioren geht. Print dagegen trifft die Kernzielgruppe der Mercedes- und PKW-Käufer ins Mark.

Drei Dinge brauchen Kampagnen

Nach meiner unmaßgeblichen Erfahrung brauchen erfolgreiche Kampagnen drei Dinge: Eine Erkenntnis über die Zielgruppe, die einen individuellen Media-Mix rechtfertigt. Einen gegenüber Wettbewerbern und für die eigene Zielgruppe sichtbar abweichenden Media- Auftritt. Und eine enge Zusammenarbeit zwischen Kreation und Media, die ein gemeinsames Konzept erkennen lassen. Nicht mehr, nicht weniger.

Nun muss man dabei allerdings auch erkennen, dass 80 Prozent der Kampagnen erfolglos bleiben müssen (!), damit die verbleibenden 20 Prozent (die, die eine Strategie haben) erfolgreich sein können. Es macht also überhaupt keinen Sinn, wenn plötzlich alle Kampagnen auf intelligenten und individuellen Strategien aufgebaut werden. Das haben die Mediaagenturen früh erkannt und deshalb das Entwickeln von Mediastrategien eingestellt. In diesem Sinne danken wir den Mediaagenturen für ihre Weitsicht, und wünschen uns allen weiterhin möglichst viele strategielose Kampagnen.

Der Autor Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, ist „Wirtschaftswoche“-Kolumnist, Herausgeber von „Clap“ und Media-Persönlichkeit des Jahres, er bloggt seit 2013 für W&V. Er ist „Mr. Media“ sowie Autor des Buches „Die Zielgruppe sind auch nur Menschen“.

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